Mit der Übernahme der Abteilung Ky vor drei Jahren erfüllte sich für Herrn S. ein beruflicher Traum. Hier wollte er nun all seine fachliche und persönliche Kompetenz einfließen lassen und zeigen, was wirklich in ihm steckt. Als überdurchschnittlich motiviert gilt Herr S. im Unternehmen. Er ist sich sicher, die unerreichten Ziele seines Vorgängers bei weitem übertreffen zu können.
Dass er dabei die vereinbarte Arbeitszeit um ein Vielfaches überschreitet, bereitet ihm keine Sorgen. Verantwortungsvolle Mitarbeiter mit Führungsaufgaben machen eben keinen "Dienst nach Vorschrift", außerdem reizt ihn die Schwierigkeit der komplexen Aufgabe. Das war schon immer so. Auch im Sport hatte er sich nur ungern mit dem zweiten Platz zufrieden gegeben. In dieser Situation scheint es für ihn selbstverständlich, dass er einen Teil seines Urlaubsanspruchs verfallen lässt.
Seit etwa einem Jahr hat sich nun alles geändert. Die Herausforderung ist zur drückenden Belastung geworden. Herr S. sieht die Ursache in der Neustrukturierung, mit der die Arbeitsmenge dramatisch zugenommen hat. Sicherlich könnte Herr S. einige Vorgänge an seine Mitarbeiter delegieren, aber ehe dies wieder unvollständig und verspätet erledigt wird, macht er es lieber selbst. So erspart er sich auch den Ärger, den Mitarbeiter wegen möglicher Fehler oder mangelnder Leistung zur Rechenschaft zu ziehen.
Und dann traten diese Erschöpfungszustände vermehrt auf. Wenn ihn diese bleierne Müdigkeit befällt, kann er selbst in wichtigen Meetings nicht mehr den Argumenten folgen. Herr S. vergisst maßgebliche Einzelheiten. Auch nach einem Urlaub ändert sich nichts. Früher konnte er im Urlaub wieder richtig auftanken und neue Kraft gewinnen, aber dieses Mal ist jegliche Regeneration ausgeblieben. Mit Zynismus versucht er, die nun immer öfter aufkommenden Versagensängste zu unterdrücken. Jegliche Zielorientierung hat er resigniert aufgegeben. Trotz extrem langer Verweildauer im Büro ist die innere Kündigung bereits vollzogen.
Als nun auch noch seine schon längst überwundenen Schulterprobleme schmerzhaft zurückkehren, zweifelt er am Wert seines Lebens. Und dann fragt sich Herr S.: Warum haben andere in einer ähnlichen Situation wie ich nicht die gleichen Probleme?